Englische Konzentrationslagerpolitik im Burenkrieg
In der gangigen Geschichtsschreibung wird oftmals die Auffassung vertre-
ten, die Einrichtung von Konzentrationslagern zum Zweck der Internie-
rung oder gar der Folterung von Massen von Menschen sei eine deutsche
>Erfindung< gewesen. Diese Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage und
widerspricht den geschichtlichen Tatsachen.
Sowohl der Begriff Konzentrationslager! als auch die Einrichtung selbst
stammen nicht aus Deutschland. Dem aktuellen Forschungsstand zufolge ist
dieser Ausdruck zum ersten Mai von den Spaniern gebraucht worden. Arse-
nio Martinez Campos, Kommandeur der spanischen Garnison auf Kuba, schuf
in der letzten Dekade des neunzehnten Jahrhunderts die Politik der soge-
nannten reconcentrarian-. 1895 empfahl Campos der spanischen Regierung, den
andauernden Freiheitskampf der Kubaner dadurch zu beenden, daB man die
zivilen Bewohner der landlichen Gegenden in Lager »konzentrierte«. Sein
Nachfolger, General Valeriano Weyler y Nicolau, setzte diese Forderung
von 1896 bis 1898 in die Praxis um. Viele tausend kubanische Bauern wurden
wahrend seiner Herrschaft gewaltsam aus ihren Hausern geholt und in solche
Lager gebracht. Essen wurde ihnen nur unregelmaBig zugeteilt, woraufhin
sich junge Madchen vor Hunger prostituierten. Die sanitaren und hygieni-
schen Verhaltnisse verschlechterten sich rasch, so daB Zehntausende Men-
schen an Typhus und Ruhr erkrankten oder starben.
1900, also kaum zwei Jahre, nachdem die spanischen Lager wieder geschlos-
sen waren, setzte das britische Weltreich - auf der Hohe seiner Macht - diese
menschenverachtende Taktik ein, um ihr militarisches und politisches Kriegs-
ziel in Siidafrika endlich zu erreichen. Die englische Regierung drangte auf
Beendigung des verlustreichen und teuren Krieges, der sich fur das Prestige
des Empires unzutraglich auswirkte. Nachdem die britische Weltmacht wah-
rend der ersten Phase des Anglo-Burenkrieges (1899-1902) trotz ihrer gewal-
tigen Ubermacht ihres rund 450 000 Mann starken Heeres und trotz ihrer
Vernichtungspolitik der verbrannten Erde hatte erkennen mussen, daB sie es
nicht vermochte, die burischen Guerilla erfolgreich zu bekampfen oder gar
das Volk der Buren zu unterwerfen, griff General Horatio H. Kitchener zu
dem Mittel der Konzentrationslagerpolitik, um die burischen Kommandos
zu zermurben und eine Einstellung des Guerillakampfes zu erreichen
Der burische Deserteur und Hochverrater Meyer de Kock behauptete ge-
geniiber der englischen Heeresleitung, daB die kampfenden Buren am ehesten
dann zur Kapitulation gebracht werden wurden, »wenn sie ihre Frauen und
Kinder in den Handen des Feindes wissen«. 1 Dieser abartige Gedanke stieB
bei der englischen Generalitat nicht etwa auf Emporung und Ablehnung,
1 Vgl. Ben VLIJOEN, Die Transvaaler im Krieggegen England, Miinchen o. J., S. 228.
KA1SEHZEIT 73
Horatio H. Kitchener.
Er befahl, die Buren
»wie wilde Tiere in
Kafige zu treiben,
damit man sie fangen
kann«.
sondern fiel auf fruchtbaren Boden. Bereits am 22. September 1900 wurde
Generalmajor J. G. Maxwell, der Militargouverneur von Pretoria, mit dem
Befehl betraut, die Einsperrung burischer Frauen und Kinder in Konzentrati-
onslager durchzufuhren. 2 Als GegenmaBnahme ordnete der burische Gene-
ral Christiaan de Wet an, daB Personen, die beim Niederbrennen von Hau-
sern und beim Wegfiihren von Frauen und Kindern ertappt wurden,
standrechtlich zu erschieBen seien. Die Brutalitat des Krieges nahm zu und
riB Wunden, die nicht mehr verheilen sollten.
Es ist ausdriicklich hervorzuheben, daB gemaB der Haager Konvention
von 1899, die im November 1899 auch von GroBbritannien unterschrieben
worden war, wahrend eines Kriegsfalls Ubergriffe gegen Zivilisten verboten
waren und Verwundete, Gefangene und die Zivilbevolkerung unter besonde-
rem Schutz standen.
Anfanglich hatten die Englander noch versucht, die Einfuhrung der Kon-
zentrationslager als humanitare MaBnahme zu rechtfertigen. Aufgrund der
vielen Zerstorungen, so gaben die Englander vor, seien viele Frauen und Kin-
der obdachlos geworden. Es gelte nun, diesen gegen Natur, wilde Tiere und
Kriegseinfliisse schutzlos gewordenen Menschen eine Zufiuchtsstatte zu bie-
ten. Hierfiir habe man Lager eingerichtet.
Die englische Militarmacht errichtete iiber 40 Konzentrationslager flachen-
deckend auf sudafrikanischem Boden, in denen sie mehr als 110 000 burische
Menschen 3 internierte. Das bedeutete, daB mehr als ein Drittel der Gesamtbe-
volkerung gefangengehalten wurde. Die Lager befanden sich an folgenden
Orten: Barberton, Heidelberg, Johannesburg, Irene (Pretoria), Klerksdorp,
Krugersdorp, Mafeking, Potchefstroom, Standerton, Vereeniging, Balmoral,
Belfast, De Jager's Drift (Natal), Middleburg, Nylstroom, Pietersburg, Van der
Hoven's Drift (Pretoria), Volksrust, Vryburg (Kapkolonie), Bloemfontein,
Heilbron, Kroonstad, Normal's Pont, Vredefort Road, Aliwal North, Bethulie,
Brandfort, Harrismith, Kromellenboog, Kimberley, Ladybrand, Orange River,
Springfontein, Winburg, Pietermaritzburg, Howiek, Isipingo, Merebank (Dur-
ban), Colenso, Eshowe, Jacobs, Wentworth (Durban), Ladysmith, Mooi River,
Pinetown, Port Elizabeth, East London, Kubusi und Uitenhage, wobei in Meint-
jeskop (Pretoria) noch ein zusatzliches Sammellager fur Angehorige von Joiners,
also Buren, die auf englischer Seite kampften, eingerichtet worden war.
Oftmals wurden die Festnahme und Internierung der Frauen und Kinder
von bewaffneten Bantus unterstiitzt, die unter dem Befehl englischer Offiziere
standen. 4 Die von den Englandern unter Waffen gestellten Eingeborenen und
Farbigen wurden auf die schutzlosen Burenfamilien regelrecht »losgelassen«. 5
2 Oskar HlNTRAGER, Geschichte von Sudafrika, Miinchen 1952, S. 373.
3 Vgl. S. B. Spies, Methods of Barbarism?, Kapstadt-Pretoria 1978, S. 215.
4 Vgl. Oskar HlNTRAGER, aaO. (Anm. 2), S. 373.
Vgl. J. C. Otto, Die Konsentrasie-Kampe, Johannesburg 1954, S. 45.
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KAISERZEIT
Farmen wurden gepliindert und niedergebrannt, Plantagen und Viehbestan-
de vernichtet, auf fliehende Frauen wurde geschossen. Die damals von Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit noch ziemlich unbelasteten Menschen
wurden nun vor Greuel unvorstellbaren AusmaBes gestellt. Hunderte von
Madchen und Frauen wurden auf gemeine und brutale Art und Weise gede-
miitigt, viele von ihnen vergewaltigt. Selbst Madchen im Kindesalter waren
kein Tabu. Oftmals brachen die Englander in die Hauser der Buren ein, iiber-
waltigten die Frauen, rissen ihnen die Kleider vom Leib und vergingen sich
an ihnen, nicht selten vor den Augen der Kinder. 6
In die Konzentrationslager - im Grunde ein vom Militar bewachtes und
mit Stacheldraht umzauntes Gelande, auf dem Zelte aufgebaut worden waren
- wurden die Frauen und Kinder, ahnlich wie in den spanischen Vorgangern,
eingepfercht, ohne daB vorher fur geniigende Versorgung und hygienische
Einrichtungen Vorsorge getroffen worden war. Medizinische Versorgung gab
es allgemein nicht. Erst im Laufe des Jahres 1901 wurden erste Schritte in
Richtung einer solchen eingefuhrt, die so aussahen, daB man Schwerkranken
ein Stuck Seife, etwas Milch oder eine kleine Fleischration verabreichte. 7 Spa-
ter wurden in den meisten Lagern zwar sogenannte Lazarettzelte eingerich-
tet, die allerdings jeder Anforderung an ein Militarkrankenhaus spotteten.
Arzte gab es zumindest bis zum ersten Quartal 1901 nicht, Medikamente
ebensowenig. 8 »Keine Einrichtung«, so schreibt der Historiker Ewald Steen-
kamp, »war auf der Welt verhaBter als die Konzentrationslagerhospitaler, denn
diejenigen, die vertraut mit ihnen waren, wuBten, daB fur jene, die erst ein-
mal eingeliefert wurden, kaum eine Hoffnung bestand, sie wieder lebendig zu
verlassen... In den Raumlichkeiten liegen die Frauen, Kinder und Sauglinge,
alle bis auf das Skelett abgemagert und totenbleich vor Hunger und Krank-
heit. Und iiberall sind Fliegen, die Ubertrager von allerlei Arten von Krank-
6 Owen COKTZKR,
Fire in the Sky,
Weltevreden Park
2000, S. 228 f.
7 Vgl.J.C.OTTo,
aaO. (Anm. 5),
S. 119 f.
8 Vgl. Danie van
Zyl, In die Konsentrasie-
kamp, o. O. u. O. J.
[ca. 1944], S. 21 f.
Britischer KZ-Terror
1901 im Transvaal.
Zeichnung von Jean
Veber(1901).
Aus: FZ (Hg.),
Verheimlichte
Dokumente, Bd. 2,
Miinchenl 995.
KAISERZEIT
75
9 Ewald STEENKAMP,
Heikampe, Pretoria
2 2001, S. 73 f.
10 Vgl. J. C. Otto,
aaO. (Anm. 5),
S. 104 f.
11 Fransjohan
Pretorius (Hg.),
Scorched Ear/ h,
Kapstadt 2001,
S. 191.
12 Vgl. Pieter W.
Grobelaar (Hg.),
Spieelbeeld Oorlog 1899-
1902, Kapstadt 1974,
S. 62 ff.
heitskeimen. Die Fliegen kriechen in die Nasenlocher der kleineren, schwa-
cheren Kinder und nach kurzer Zeit kriechen Wiirmer aus deren Nasen her-
aus.« 9 Die Millionen von Fliegen vermehrten sich wiederum aufgrund der
katastrophalen >Sanitaranlagen< - Latrinen und Eimer, die standig uberfullt
in der gleiBenden Sonne standen. Infektionen und ein nicht auszuhaltender
Gestank waren an der Tagesordnung, so daB englische Militars das denunzie-
rende Geriicht in die Welt setzten, die Buren seien dreckige Menschen. 10 Die-
ses Geriicht gelangte durch einen diffamierenden Bericht des Arztes Kendal
Franks in das offizielle Blaubuch. Die englische Presse griff es auf und behaup-
tete, die hohe Sterblichkeitsrate in den Konzentrationslagern sei auf »die un-
vorstellbare Unwissenheit, den Aberglauben, die Sturheit und den Schmutz
der Insassen« zuruckzufiihren. 11
Wahrend der eiskalten Wintermonate starben vor allem Kinder reihenwei-
se an Erfrierungen. Brennmaterial gab es nur in ungeniigender Menge, war-
me Kleidung gar nicht. Gewohnlich muBten sich mehrere Insassen eine Dek-
ke teilen. 12 Auch ist es von Seiten des Bewachungspersonals immer wieder zu
Ubergriffen gekommen, die vor allem fur Leib und Leben von Frauen eine
Zu Recht wurden die britischen Schandtaten im Burenkrieg zum Gegenstand bei-
Gender Karikaturen in Deutschland. Links: »Das Cewimmer der Weiber und Kinder
ist bald nimmer anzuhoren - lassen Sie die Regimentskapelle spielen!« - meint der
Offizier zu Rod. Rechts: Karikatur im Simplicissimus: mit dem Kommentar: »Das
Blut spritzt bis hier herauf, dies Pack macht mir noch die ganze Krone schmutzig!«
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KAISERZEIT
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Die Beschie&ung
eines Burenlagers,
Zeitgenossische
Zeichnung. Aus:
Chronik des 20.
Jahrhunderts,
Augsburg 4 1 997.
standig schwebende Gefahr bedeuteten. Falle von schwerer sexueller Noti-
gung sowie Korperverletzungen waren keine Seltenheit, wie aus vielen Sam-
melbanden zu entnehmen ist, die die Erinnerungen ehemaliger Insassinnen
dokumentieren. ] Infolge mangelhafter Ernahrung und unzureichender me-
dizinischer Fiirsorge grassierten Lungenentziindungen, Masern, Fieberepide-
mien und Odeme. Die Sterblichkeit in den Lagern, die von den Insassen oft-
mals als »Lager der H6lle« 2 und »Folterkamps« 3 bezeichnet wurden, stieg
auf ein nicht gekanntes AusmaB an. Die katastrophalen Verhaltnisse waren
der britischen Verwaltung bekannt, ihnen wurde jedoch meist in polemi-
scher oder bagatellisierender Form begegnet. In einem Schreiben des High
Commissioners Alfred Milner an den stellvertretenden Administrator der Oran-
ge River Colony vom 18. Dezember 1901 heibt es, dab er iiberzeugt sei, dab
»einige Lager iiberfullt sind und ein oder zwei sich als vollig unzureichend
erwiesen haben«. 4
Es ware unredlich zu verschweigen, dab es auch in England Personen gab,
die gegen die entsetzlichen Verhaltnisse in den britischen Konzentrationsla-
gern massiv protestierten. Als die prominenteste diirfte die barmherzige und
hilfsbereite Sozialarbeiterin Emily Hobhouse in die Geschichte eingegangen
1 Vgl. Stemme uit die vrouekampe, Pretoria 2 1993; Oorlogsmuseum van die Boererepu-
blieke (Hg.), Vroueked, Bloemfontein 1993.
2 Ewald STEENKAMP, aaO. (Anm. 9).
3 Miem FISCHER, Kampdagboek, Pretoria 2 20 00, S. 28.
4 Facsimiledruck in: Oorlogsmuseum van die Boererepublieke (Hg.), J/redefortweg,
Bloemfontein 1992 (siehe Bildteil).
KAISERZEIT
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17 Fritz Spiesser,
Die Kon^entrationslager,
Miinchen 1940,
S. 13.
18 Zitiert in: Claus
NORDBRUCH, Die
Eiiropaischen Freiwilligen
im Anglo-Burenkrieg
1899-1902, Pretoria
1999, S. 67.
"J.C.OTTO, aaO.
(Anm. 5), S. 170.
Das britische
Steinberg's Dictionary of
British History gibt
»etwa 4000 Todesfal-
le bei Frauen und
16 000beiKindern«
an. So zitiert von
Thilo Bode sen.,
Miinchen, im
Leserbrief in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 3. 8. 1995.
sein, die sich der Lageropfer annahm und die Leidenszeit burischer Frauen
und Kinder in den englischen Konzentrationslagern in ihrem Buch The Brunt
of the War dokumentiert hat. Sie berichtet unter anderem, daB in einigen La-
gern zwei, manchmal sogar drei verschiedene Familien in einem Zelt hausen
muBten, wobei fast alle Personen auf dem Boden zu schlafen hatten. Fast
prophetisch meinte diese aufopfernde Frau, daB die internierten Menschen
die Geschehnisse in den Lagern niemals vergessen wiirden. Tatsachlich brann-
ten sich die Kinderleichen mehr als irgend etwas anderes in das Gedachtnis
der Buren ein.
Niemals zuvor ist in einem modernen Krieg die Zivilbevolkerung vom
Aggressor derart menschenverachtend behandelt worden wie die burischen
Frauen und Kinder von den Englandern im Anglo-Burenkrieg 1899-1902.
Der Raub von Frauen und Kindern ist in der Kriegsgeschichte auf der gesam-
ten Welt seit der Antike immer vorgekommen. In der Regel dienten diese
Entfiihrungen aber der VergroBerung und Blutauffrischung des jeweiligen
Stammes. Die weiblichen Gefangenen wurden also schon im eigenen Interes-
se zumeist gut behandelt. Aus keinem Kulturkreis ist bisher je bekannt ge-
worden, daB bis zu diesem Zeitpunkt »jemals Frauen und Kinder in solcher
Weise, in Todeskamps zerniert, veraast wurden«. 17 Was die Briten hier begin-
gen, war eine wohlwollend geduldete ethnische Sauberung.
Die englische Kriegspolitik stieB unterdessen auf scharfe Verurteilung in-
ternationaler Personlichkeiten, selbst von solchen, die auf englischer Seite
standen. Im Januar 1902 meinte der anglophile General Jan Smuts, der spatere
Premierminister der Siidafrikanischen Union: »Lord Kitchener hat in bei-
den Burenrepubliken eine Politik eines unglaublichen Barbarentums und ei-
ner Grausamkeit begonnen, die gegen die grundlegendsten Prinzipien der
internationalen Kriegsgesetze verst6Bt.« Auch der spatere englische Premier-
minister Henry Campbell-Bannerman hatte am 14. Juni 1901 im Parlament
erklart: »Wann ist ein Krieg kein Krieg? Wenn er wie in Sudafrika mit Me-
thoden des Barbarentums gefiihrt wird.« 18
Die befehlshabenden Burengenerale entschieden noch vor Anbruch des
Winters 1902, daB angesichts der katastrophalen Lage in den Konzentrations-
lagern der Sorge um den weiteren Volksbestand Vorrang einzuraumen sei
und die Kampfhandlungen deshalb eingestellt werden muBten. Der Krieg
endete am 31. Mai 1902 mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von
Vereeniging. Das gesamte verheerende AusmaB der englischen Konzentra-
tionslagerpolitik wurde erst nach Unterzeichnung dieses Friedensvertrages
deutlich: Neben 1676 Buren mannlichen Geschlechts tiber 16 Jahren (von
denen die meisten das Greisenalter erreicht hatten), kamen 26 251 burische
Frauen und Kinder - wobei hiervon rund 22 000 unter 16 Jahren alt waren! -
in den englischen Konzentrationslagern um. 19 Man muB diese knapp 28 000
Konzentrationslageropfer im Verhaltnis sehen: Weit iiber ein Viertel der In-
ternierten - oder anders ausgedriickt: rund 10 Prozent der burischen Gesamt-
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KAISERZEIT
bevolkerung - starb in den englischen Konzentrationslagern. Da es sich hier-
bei in erster Linie nicht um alte Menschen und Manner handelte, sondern um
Kinder, pubertierende Madchen und heiratsfahige Frauen, kommt diese eng-
lische Todespolitik einem Volkermord gleich. Die britische menschenver-
achtende Konzentrationslagerpolitik kam der Ausloschung einer Generation
gleich, da sie den Fortbestand des burischen Volkes in Frage stellte. Sie erfullt
damit den Tatbestand eines echten Volkermords.
Die britische Krone ist fur dieses Verbrechen nie zur Verantwortung gezo-
gen worden. Auch hat sich weder die englische Regierung noch das britische
Konigshaus je fur dieses Verbrechen entschuldigt. Im Gegenteil, es liegen Schrif-
ten von britischen Autoren vor, in denen die englische Konzentrationslager-
politik wahrend des Anglo-Burenkrieges entweder geleugnet, bagatellisiert
oder gar als deutsche Greuelpropaganda verunglimpft wird. 20
Claus
Nordbruch
20 Vgl. zum Beispiel:
A. Conan DOYLE,
Die Wahrheit uber den
Krieg in S iid-Afrika,
Zurich 1902; Napier
DeviTT, The
Concentra-
tion Camps in South
Africa, Pietermaritz-
burg 1941; A. C.
Martin, The Concen-
tration Camps 1900-
1902, Kapstadt 1957.
»In den Lagern ging bald der Tod um. Nicht alle MiBstande hatten Brutalitat
als Ursache; Unfahigkeit und Gleichgultigkeit der Lagerkommandanten spiel-
ten eine bedeutende Rolle. Doch fur den Geist, der die Lager schuf, ist eine
spezielle MaBnahme bezeichnend: Die ohnehin unzureichenden Lebensmittel-
zuteilungen wurden noch einmal fur diejenigen Frauen und Kinder gekiirzt,
deren Angehorige noch nicht zu den Briten desertiert waren. Da meinte so-
gar D. Lloyd George, Premierminister von 1916 bis 1923: >Die Reste des
Burenheeres, die alles fur die Idee der Unabhangigkeit opfern, sollen durch
den Anblick ihrer verhungernden Frauen und Kinder gefoltert (tortured)
werden, damit sie ihre Sache verratene H. Campbell-Bannerman, britischer
Premierminister von 1905 bis 1908, beurteilte die britische Kriegfuhrung als
>Riickfall in die Barbarek .. Allerdings starben in den Lagern allein im Ok-
tober 1900 3156 von 111600 WeiBen und 698 von 43 800 Schwarzen. Das
bedeutete fur die burischen Deportierten eine jahrliche Sterberate von 34,4
Prozent. Am hartesten waren die Kinder betroffen: Legt man die Sterberate
des Oktober zugrunde, dann kamen in den Lagern im Transvaal 58,5 Pro-
zent und in den Lagern im Oranje-Freistaat 62,9 Prozent der Kinder urns
Leben... Wie viele von ihnen umgekommen sind, ist nicht exakt bekannt,
da viele Kommandanten die Toten wenigstens anfangs nicht einmal registrier-
ten. Die amtlichen britischen Schatzungen sprechen von 18000 bis 28000
Toten.«
Aus: Franz Uhle-Wettler, »Konzentrationslager im Burenkrieg 1 899-1 902«, in: Franz
W. SEIDLER und Alfred M. DE ZAYAS, Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20.
Jahrhundert, E. S. Mittler & Sohn, Hamburg-Berlin-Bonn 2002, S. 15 f.
KA1SERZEIT
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